Prof. Dr. Andreas Uffelmann Stadtplaner und Architekt
Verfolgt man die aktuellen Beiträge in den Medien, fällt auf, dass immer häufiger über die
Veränderung der Gesellschaft und des Einzelnen durch neue Kommunikations- und
Informationsgewohnheiten geschrieben wird.
Soziologen und Philosophen sprechen vom Abnehmen des Realitätsbewußtseins bei
fortschreitenden immateriellen Kommunikations- und Wahrnehmungsweisen in der sog.
„Internetgesellschaft“.
Jürgen Mittelstraß z.B. stellt Thesen in der FAZ v. 25.07.2011 auf, deren erste beginnt:
„die moderne Welt ist das Produkt des wissenschaftlichen und technischen Verstandes.
Ihre artifiziellen Strukturen nehmen zu, ihre natürlichen Strukturen nehmen ab. Sie ist
eine Leonardo Welt, die auf die Leistungsfähigkeit von Wissenschaft, Forschung und
Entwicklung angewiesen ist und bleibt.“
Für Architekten ist darin eine Aussage, die direkt den Gegenstand der Architektenarbeit, die
„natürlichen Strukturen“ betrifft, nämlich die Gestaltung der realen, natürlichen Umgebung
durch architektonische Mittel, die die Atmosphäre eines Ortes stimmen.
Die Zunahme und der Einfluss der sogenannten „artifiziellen“ Strukturen könnte somit auch
die Wahrnehmung und Wirkung der gestalteten Umwelt auf den Betrachter einschränken
und damit auch die Identifikation von Menschen mit ihren Heimatstädten oder Wohnorten
betreffen.
Mittelstraß beschreibt den modernen Menschen als Wissenschaftler, Ingenieur und Künstler
zugleich, in einer Leonardo Wissens – Welt, in der Glanz und Elend nebeneinander
liegen:
„Alles wird irgendwie gleich, das Bedeutende und das Unbedeutende unterscheiden sich
immer weniger voneinander…“
Dagegen bestehen für einen Architekten heute der Gestaltungsauftrag zum Herausarbeiten
bedeutender und besonderer Orte, sowie der Anspruch in der Architektur nach einem
Beitrag zu unverwechselbaren Städten und individuellen Gebäuden, im Großen wie im
Kleinen. Der Auftrag an die Architektur ist das Schaffen besonderer, sinnlich erfahrbarer,
unterscheidbarer und identifikationsstiftender Stätten im Freizeit- und im Arbeitsleben, die
Architektur dient hierbei traditionell zur Organisation und Konstruktion aber auch als
Kulturträgerin und -vermittlerin.
Eine weitere soziologische These beginnt:
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„In der Internetgesellschaft herrschen absolute Gegenwart und organisierte Gleichzeitigkeit;
das Ferne und das Fremde lösen sich im Gegenwärtigen auf – um den Preis der Erfahrung
und des Privaten.“
In einer seltsamen Mischung von Nähe und Ferne im Internet, der sofortigen Verfügbarkeit
von allem und allen verlöre man den Einzelnen und sich selbst aus dem Auge.
Mittelstraß schließt mit den Ausführungen, der Verlierer könnte das Selbst, das Ich sein,
dem die konkrete Handlungswelt und mit ihr die Erfahrung fremd wird oder zumindest an
Bedeutung verliert.
Konkrete Erfahrungen werden dagegen in der Architektur kontinuierlich gemacht, denn
solange Menschen in Räumen und Häusern leben, sich in Städten bewegen und durch
Landschaften fahren, gibt es hier immer eine erfahrbare, konkrete Handlungswelt.
Heute, wie vor 5000 Jahren, dient die Architektur nach wie vor der Orientierung in Raum und
Zeit, der Kommunikation und der Identitätsstiftung.
Aktuell sind zum Thema „Kommunikation“ und „Identität“ in der Architektur zwei Tendenzen
zu beobachten:
Die erste ist sichtbar in der globalen „Konkurrenz der Weltstädte“ untereinander,
diese wird kommuniziert durch Architektur.
Erkennbar ist in diesem Wettstreit eine zunehmende Ähnlichkeit repräsentativer Gebäude in
allen Wirtschaftsmetropolen der Welt. Von Asien, der arabischen Welt, über Europa bis in
nach Amerika, gibt es einen Wettlauf um die Darstellung der großen Städte nach dem
Vorbild amerikanischer Metropolen.
Die beteiligten Stararchitekten arbeiten dabei global, so ist das Büro Behnisch und Zaha
Hadid in allen Wirtschaftmetropolen ebenso vertreten wie Rem Koolhas und Herzog und de
Meuron sowie verschiedene andere.
Die regionale, individuelle Identität der einzelnen Metropolstädte nimmt im Prozess der
globalen Konkurrenz ab, zugunsten einer universellen, weltumspannenden Stadtgestalt des
vermeintlichen Fortschritts.
Die zweite Tendenz betrifft das genaue Gegenteil: die Regionalisierung der Architektur
Zum Beispiel in Europa, wo die nationalen Grenzen beginnen sich aufzulösen,
werden die kulturellen Identitäten von Landstrichen und Gebieten verstärkt herausgearbeitet.
Dies ist für mich ein Zeichen von dem Wunsch nach erkennbarer Zuordnung der Menschen
in überschaubaren Lebensräumen.
Hierzu gehört die Gestaltung der Städte, wie der Neuordnung des Stadtgrundrisses Berlins
nach dem Muster der gründerzeitlichen Stadt durch den Leiter der IBA J.P. Kleihues und den
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Stadtbaurat H.Stimmann in den 90er Jahren, oder die Gestaltungssatzungen von kleineren
Städten und Dörfern, die regionale Merkmale zu verstärken suchen.
Der Architekt und Architekturtheoretiker Aldo Rossi stellt hierzu in seinem Hauptwerk: „die
Architektur der Stadt“ (deutsche Übersetzung von) 1975, besonders die historisch
gewachsene Stadt heraus, als Bewahrerin des sogenannten “kollektiven Gedächtnisses“ und
Ort der Orientierung.
Sein Werk gilt als wegweisend für die Entwicklung städtebaulicher Konzepte, die von den
90er Jahren bis heute z.B. für die Stadtstruktur von Berlin, Dresden aber auch für die
Identität von Hamburg als „Stadt aus Backstein“ prägend waren.
Als zentralen Punkt seiner Architekturtheorie stellt Rossi die Gebäudetypen als Träger und
Vermittler von Geschichte, Lebenskultur und Verhaltensweisen der Menschen heraus,
Unsere Behausung, das Bauwerk, ist etwas, das im Bewusstsein vieler Menschen heute
noch als Verwurzelung und als Ort persönlicher Darstellung gesehen und empfunden wird.
Die Typologie des Gebäudes, die Organisation, der Innenraum und die äußere Gestalt sind
auch die Grundelemente der Stadt und der menschlichen Lebensräume.
Die Baustoffe der Fassadenmaterialien und die der Innenräume übernehmen dabei die
sinnliche Vermittlung der jeweiligen Lebenskultur.
Baustoffe in reiner Form, wie Holz, Stein und Lehm oder als frühe Werkstoffverbindung, wie
Tonziegel, Keramik, Glas oder Papier, Kautschuk und Metalle sind für viele Menschen heute
immer noch etwas Elementares, Bodenständiges und Grundlegendes.
Sie erinnern an die Natur selbst oder an die natürliche Herkunft ihrer Bestandteile,
sie sind verbunden mit sinnlichen Eindrücken dem Sehen, Hören, Schmecken und Fühlen.
Auch die Entwicklung des Wissens in der Bau- und Ingenieurskunst innerhalb der
Architektur, ist eng mit der Entwicklung und Leistungsfähigkeit der Baustoffe verbunden.
In den Atem beraubende Konstruktionen der Gotischen Kathedralen, in der kunstvollen
Ausgestaltung barocker Räume, in der vielfältigen Verwendung der Materialien im
Jugendstil, und in der Architektur der klassischen Moderne.
Sie sind zu sehen in der Entwicklung der modernen, heutigen Architektur in der Geschäftsund
Repräsentationswelt, beispielsweise
an den schwebenden und verdrehten Beton-Projekten von Zaha Hadid für BMW in Leipzig
oder am Science Center –Wolfsburg;
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sie sind zu sehen in der gläsernen Nord LB in Hannover und an den künstlichen
Bekleidungsfassaden von Herzog und deMeuron an der Elbphilharmonie in Hamburg,
Weiterhin findet man im Gegenzug auch die Suche nach der Vermittlung des Reinen und
Natürlichen durch einfache Baustoffe an kontemplativen Orten. z.B. in der Architektur Tadao
Andos und Erwin Heerichs im „Museum Insel Hombroich“
oder auch in der Fünf Sterne Preislage von Luxus Freizeit Hotelarchitektur eines Mendini,
die auf alles Künstliche zu verzichten sucht und nur die Besonderheit, die Reinheit eines
Ortes, die Luft, den Ausblick, die Geräusche der Natur oder deren Stille zu hohen Preisen
vermarkten.
Selbstverständlich suchen die meisten Menschen in ihrer Freizeit oft die natürliche
Umgebung, wie Wasser, Pflanzen, Tiere, die Meere und Gebirge als Orte der Entspannung
und Besinnung, die ausschließlich von der Wirkung der Natur gestimmt werden.
Ein weiterer Beleg zur Bedeutung natürlichen Baustoffe, ist die Verbindung mit dem Begriff
des „Dauerhaften“. Wir bauen in der Regel heute immer noch „auf Dauer“, in Stein, Beton,
Glas und Stahl in einer hochindustrialisierten, global vernetzten, sich ständig und immer
schneller wandelnden Gesellschaft.
Ist das dauerhafte Bauen mit natürlichem Material eine Zuflucht, ein Wunsch nach
Kontinuität und Sicherheit?
Zeigt das Bauen unter Verwendung der natürlichen Baustoffe eine Suche nach Halt oder
Selbstbesinnung, den die Einbindung in die Gesellschaft vermissen lässt?
Vielleicht – aber ganz sicher hat der menschliche Körper in seiner Jahrtausende währenden
Evolution immer einen innigen Kontakt zu Klima, Vegetation, Tierwelt und zu allen
Bestandteilen der Erdoberfläche behalten. Letztendlich bevorzugen wir auch heute noch
Bekleidung aus natürlichen Stoffen.
Ein gutes Beispiel für die Bekleidung von Fassaden und Innenräumen ist die Verwendung
eines besonderen Materials: „des Backsteins“, dessen geschichtliche Dauer und aktuelle
Präsenz in der Architektur kleiner und großer Gebäude in Klein- und Großstädten, ihn als
einen der letzten Partner im Ausbalancieren des seelischen Gleichgewichts ausweist.
Der folgende, sehr verkürzte, geschichtliche Abriss zeigt die Herstellung und Verwendung
des Backsteins als immer wieder verändertes und verbessertes Naturprodukt, das in der
Ingenieurbaukunst und im Architekturausdruck in allen Zeiten an fast allen Orten der Erde
eingesetzt wurde. Der Backstein wirkt dabei oft gleichzeitig zeichenhaft und sinnlich.
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Der Backstein begleitet kühne Konstruktionen auf hoch moderne Weise:
– er ist traditionell modular hergestellt und modular verwendbar, damit hoch flexibel,
– er ist recycle bar und ohne technische Hilfsmittel zu verbauen,
– er ist variabel in der äußeren Gestalt durch die Art der Bestandteile und die Art der
Brennarten,
–
er wirkt auf allen Ebenen der Architektur:
– als Verkleidung der Baukörper bei Einzelgebäuden und in Stadträumen,
– als Material in den Innenräumen
– er verändert seine Farbe bei wechselndem Licht
– er stimmt das Raumgefühl, ist vielfältig und haptisch und besonders sinnlich im Detail.
Folge – Geschichte des Backsteins