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Dr. Eike Christian Hirsch | Der berühmte Herr Leibniz.

| Kategorien: Clubreport

Buchcover Leipniz

Am Anfang ging Hirsch auf den Wunsch des Präsidenten ein, ein Referent solle seine Beziehung zum Thema benennen. Eine Leibniz-Biografie zu schreiben war nicht seine Idee, er hat die Aufgabe dennoch begeistert aufgenommen, war dann jedoch zunächst enttäuscht, einen Mann mit Schwächen kennen zu lernen, bevor er ihn mehr und mehr hoch zu schätzten wusste. Eigentlich sei es verwunderlich, wenn ein Gelehrter nach dreihundert Jahren noch so sehr verehrt werde, denn Entdeckungen und Erfindungen würden gleich ein Opfer des Fortschritts und damit vergessen. Künstler hätten es da besser, Rembrandt, 40 Jahre älter als Leibniz sei nicht museal, Bach, fast vierzig Jahre jünger, lebendig wie eh und je. Und Leibniz? Wichtig sei er bis heute, weil er grundsätzlich eine andere Art, die Welt zu verstehen, konzipiert habe.

Hirsch mit Publikum

Dann schilderte der Referent Leibniz’ Leben. Er kam 1676 aus Paris nach Hannover und lebte hier vierzig Jahre. Er bewarb sich fort, vor allem nach Berlin oder nach Wien an den Kaiserhof, reiste viel, blieb aber, weil er in Hannover gut bezahlt wurde, viel Freiheit genoss und das Fehlen von Gesprächspartnern kompensierte, indem er unglaublich viele Briefe an Gelehrte richtete, die ihm gern geantwortet haben. Obwohl es ihn an Höfe zog, war er alles andere als ein „Fürstenknecht“, wie ihn spätere Generationen geschmäht haben, sondern im Gegenteil, er wollte die Fürsten anleiten, um das allgemeine Wohl zu fördern. Er wollte der Kopf sein, die Fürsten sollten seine Ideen ausführen, doch drang er damit nicht durch.

Zu seinen Verdiensten gehört die Entwicklung der höheren Mathematik, der Infinitesimalrechnung. Er war jedoch nur der selbständige Zweiterfinder, der erste Entdecker Isaak Newton hat ihn im Alter des Plagiats bezichtigt, zu Unrecht. Leibniz’ Form dieser Mathematik war sogar viel fruchtbarer als die von Newton. Sein einziges Buch, im Alter veröffentlicht, ist die „Theodicee“, eine Rechtfertigung des Schöpfers, der „die beste aller möglichen Welten“ geschaffen habe und trotz des Elends in der Welt kein schlechter, schon gar kein böser Schöpfer sei. Wichtig wurde Leibniz auch, indem er die preußische Akademie der Wissenschaften gründete, deren überragender Präsident er war. Und er wurde schon früh bestaunt, weil er eine Rechenmaschine bauen ließ, die im Ergebnis eine 16-stellige Zahl errechnen konnte, mehr als es heutige Heimcomputer können. Sie war, wie der neueste Nachbau gezeigt hat, vollkommen, nur konnte sie damals nicht hochpräzise genug gearbeitet werden.

Könnten wir Leibniz heute begegnen, so würde er uns steif und formell erscheinen, das lag aber an der Art, wie man bei Hofe mit einander umging. Richtig entspannt war er wohl am ehesten gelegentlich im Gespräch mit seiner Hannoverschen Gönnerin Kurfürstin Sophie und deren Tochter, der Berliner Königin Sophie Charlotte. Er mag sonst im Gespräch etwas scheu und umständlich gewirkt haben, konnte auch lästig fallen, weil er zu oft Projekte und Wünsche durchsetzen wollte. Zum höheren Hofmann war er wenig geeignet, schon gar nicht zum Diplomaten, weil er weder adlig war noch fechten, reiten oder trinken konnte. Es lag ihm auch nicht, sich durchzusetzen. Er war meist ein Einzelgänger, und wahrscheinlich brauche er keine anderen Menschen, war nur von der Arbeit besessen, hat sich aber erfolgreich dazu gezwungen, zu anderen freundlich zu sein, auch zu seinem Personal und seinen Mitarbeitern.

Zwei Schwächen fallen auf: Er hatte eine starke Scheu, etwas zu veröffentlichen, weil er fürchtete, bei einem Fehler ertappt zu werden. Deshalb hat er nur ein einziges Buch geschrieben und die Welfen-Geschichte, zu der er verpflichtet war, erschien aus diesem Grunde nicht. Die andere Angst war die, er könne im Alter verarmen, weswegen er heimlich in einer Truhe Bargeld und Wertpapiere sammelte. Als man sie für seinen Erben, einen Neffen, öffnete, lag darin, nach heutigem Geld, eine halbe Million Euro oder mehr. Zu seinen Stärken zählte seine Toleranz und auch sein Mut. So trat er öffentlich gegen die Folter auf und setzte sich für Juden ein, die verfolgt wurden, weil sie angeblich bei ihrem Ritus kleine Christenkinder geschlachtet hatten.

Aktuell scheint sein Denken immer noch, weil er schon damals gegen die fortschrittlichen Zeitgenossen behauptet hat, die Natur funktioniere nicht wie eine komplizierte Mechanik, sondern beruhe auf dem Geist. Er trat für den freien Willen ein, der heute wieder infrage gestellt wird. Und er sah Materie und Geist, die heute mehr als je getrennt erscheinen, als eins an. Deswegen nahm er an, die ganze Welt bestehe aus Monaden, nicht aus Atomen. Die Monaden sind Körper ohne Ausdehnung, sie sind geistreich und selbständig und bilden die Materie so gut wie den Geist. Damit steht Leibniz heute nicht schlecht da, seit sich vor hundert Jahren die Atome aufgelöst haben zu abstrakten Gebilden und ein Werner Heisenberg feststellen konnte: „Die Energie ist tatsächlich der Stoff, aus dem alle Dinge gemacht sind.“ Dann klingt die Annahme, „alles beruht auf dem Geist“, nicht mehr ganz so abwegig. Auch ist, seit der Urknall vor neunzig Jahren entdeckt wurde, die Vorstellung von „der besten aller möglichen Welten“ nicht mehr völlig unbegreiflich – sofern der Kosmos, der im Urknall entstand, gar nicht anders hätte sein dürfen. Dann wäre unsere Welt die einzig mögliche und damit auch die beste aller möglichen.


Leibniz bleibt ein Visionär, der uns heute noch erlauben kann, an Geist und Freiheit zu glauben, jemand, der ein Gegenmodell, weit über die Naturwissenschaft hinaus, eröffnet hat. Ein Querdenker, durch den wir uns herausgefordert fühlen können.